Marthaler 06 - Menschenfischer by Jan Seghers

Marthaler 06 - Menschenfischer by Jan Seghers

Autor:Jan Seghers [Seghers, Jan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2017-11-06T23:00:00+00:00


Als sie an diesem Morgen kurz die Tür zum Büro ihres Chefs öffnete, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie verschlafen hatte, schaute Paul Rademacher sie aufmerksam an. Sie hatte das matte Rouge auf ihren Wangen noch dicker aufgetragen als sonst; trotzdem waren das Hämatom und die leichte Schwellung über ihrem Jochbein nicht zu übersehen.

«Was ist mit dir, Winterstein? Bist du durch den Wind? Du hast wieder diesen irren Blick. Hast du was genommen? Hat er dich geschlagen? War er eifersüchtig, weil du gestern mit uns ausgegangen bist? Du musst nicht antworten, ich will nur sagen, man merkt’s dir an, und das ist nicht gut.»

«Vielleicht war’s ja ein Unfall beim Sex. Du solltest dich auch mal schlagen lassen, Paul. Ich kann dir eine Adresse geben, wo du …»

«Winterstein, to be honest, that’s not funny!»

Sie nickte. «Ich hab ihn heute Nacht rausgeschmissen. Alles in Ordnung.»

Sie zeigte ihrem Chef ein schiefes Lächeln, dann ging sie in ihr Büro, stellte sich vors Waschbecken und wiederholte für ihr Spiegelbild dasselbe Gesicht: «Alles in Ordnung», sagte sie noch einmal, um dann hinzuzufügen: «Na ja, fast.»

Kizzy schaltete die Espressomaschine ein, wartete, bis das Lämpchen Bereitschaft signalisierte, legte eine Kapsel ein und zapfte sich einen Lungo. Auf ihrem Schreibtisch lag ein Zettel: «Bin kurz im LKA, spätestens in einer Stunde wieder da, Gruß Bruno.» Ja, dachte Kizzy, aber wie soll ich wissen, wann eine Stunde um ist, wenn ich nicht weiß, wann du gegangen bist?

Bruno Tauber, der wegen seiner Körpergröße von den meisten im Präsidium nur Täubchen genannt wurde, bewunderte Kizzy Winterstein. Manche behaupteten, er sei in sie verliebt. Jedenfalls arbeiteten die beiden gerne und gut zusammen, wohl auch deshalb, weil sie vollkommen gegensätzliche Charaktere waren und sich im Alltag oft ergänzten.

Wie jeden Morgen, bevor sie mit der Arbeit begann, setzte sich Kizzy in ihren Schreibtischsessel, schloss die Augen und atmete dreimal tief ein, hielt die Luft jedes Mal lange in den Lungen und stieß sie schließlich mit einem lauten Schnauben wieder aus. Sie wollte gerade nach der Akte greifen, die vor ihr lag, als ihr Handy läutete. Das Display zeigte die Nummer von Louise Manderscheid an.

«Warum hast du gestern Abend nicht mehr abgenommen?», fragte Kizzy. «Direkt nachdem wir telefoniert haben, habe ich noch dreimal versucht, dich zu erreichen. Heute Morgen genauso. Warum nimmst du nicht ab?» Und als auf der anderen Seite nichts als ein tiefes, langes Schluchzen zu hören war: «Was ist mit dir, was ist passiert?»

«Kannst du … sprechen?», brachte Louise endlich hervor.

«Ja, ich bin alleine. Du kannst reden.»

«Sie sind tot. Die Jungen sind tot. Man hat sie …»

«Was redest du da, Louise?»

«Bitte, du musst kommen! Kizzy, bitte, lass mich nicht alleine!»

«Jetzt reiß dich zusammen und erzähl mir, was los ist!»

Mit Mühe und immer wieder durch heftiges Schluchzen unterbrochen berichtete Louise, was geschehen war, seit sie gestern die Jungen in der Kabeltrommel entdeckt hatte; bis zum heutigen Vormittag, als der Hund ihres Nachbarn Friedrich Neubert sie zu dem Stollen geführt hatte.

«Okay, Louise, lass mich einen Moment nachdenken … Ist dein Nachbar noch da?»

«Ja, er sitzt draußen unter der Walnuss.



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